Vielseitig sind die Interessen von Tamara Widmer. Die gelernte Köchin bildet sich weiter und will als Bäuerin mit Fachausweis qualifiziert sein, einen Hof zu führen. Ideen für innovative Betriebszweige hat sie einige, noch steckt sie in der Testphase.
Stotzig steigt die Strasse empor zum Hof im Ferchhüsli im Herzen des Luzerner Hinterlands. Tamara Widmer begrüsst mit einem freundlichen Lachen im Gesicht. Die junge Frau ist erst vor wenigen Minuten auf den Elternbetrieb heimgekehrt, um das Wochenende da zu verbringen. Seit März arbeitet sie im zürcherischen Dachsen nahe des Rheinfalls, auf einem Hof, der Beeren anbaut. Noch bis im Oktober unterstützt sie die Familie Fürst auf dem Selbstpflück-Hof. Die praktische Arbeit ist Teil der Ausbildung zur Bäuerin mit Fachausweis, die Tamara Widmer im Herbst dieses Jahr abschliessen wird. Gearbeitet werden 55 Stunden pro Woche, die Wochenenden sind kurz. Für Widmer kein Problem: «Die langen Arbeitstage machen mir nichts aus. Ich lerne enorm viel auf dem Betrieb, das ist mir wichtiger als Freizeit.»
Nicht lernmüde
Auf dem Selbstpflück-Hof bereitet Tamara Widmer das frische Angebot für den Hofladen vor, verarbeitet Beeren zu Sirup, Konfitüren und anderen Leckereien. Sie organisiert und hilft auf dem Feld. Sie macht alles gerne, gibt aber zu, dass sie am liebsten in der Küche Produkte veredelt. Das erstaunt nicht – die junge Frau ist ausgebildete Köchin. «Nach der Schule war ich etwas ratlos. Ich wollte nicht unbedingt Köchin werden, wollte nicht ins Büro, war nie interessiert daran, Produkte vom eigenen Hof zu verarbeiten», so Widmer. Dann hat sie doch als Köchin geschnuppert und war so begeistert, dass sie die Ausbildung absolvierte. Doch das war für sie noch nicht genug: «Während meiner ersten Stelle als Köchin habe ich jeweils montags die Handelsschule besucht.» Doch selbst als sie diese Ausbildung abgeschlossen hatte, wollte sie noch mehr und begann die Ausbildung zur Bäuerin mit Fachausweis.
Klein aber fein
Gemeinsam mit ihrem Bruder ist sie auf dem Ferchhüsli-Hof aufgewachsen. Auf den 5 Hektaren, die sich rund ums Wohnhaus erstrecken, wächst Raufutter für knapp 20 Kälber und drei Milchkühe. «Ich hätte gerne mehr Tiere, aber dann würde die Hofdünger-Bilanz nicht mehr aufgehen», so Tamara Widmer. Alpakas, Hühner, Kaninchen wünscht sie sich. Für die Arbeit mit den Kühen habe sie sich allerdings nie so richtig begeistern können, gibt sie zu.
Wenn Tamara Widmer heute nach Hause kommt, geht sie zuerst in den Garten und sieht nach, wie ihre Beeren und das Gemüse gedeihen. «Ich baue Beeren an und möchte herausfinden, wie wir damit den Selbstversorgungsgrad auf unserem Hof steigern können», so Widmer. Die Experimente dokumentiert sie in einer schriftlichen Arbeit, eine der Anforderungen zum Fachausweis Bäuerin. Für Widmer ist es aber weit mehr als eine Facharbeit. «Ich mache verschiedene Experimente und will wissen, was auf unserem Hof gedeiht. Nebst Himbeeren, Brombeeren, Heidelbeeren und Gojibeeren haben wir diverse Kartoffelsorten angebaut, einen Feigenbaum, einen Minikiwi und am Waldrand wachsen drei mit Trüffelpilzen geimpfte Bäume.»
Mit viel Leidenschaft erzählt Tamara Widmer vom Veredeln der hofeigenen Produkte. Das könnte sie sich auch selber einmal auf dem Hof zuhause vorstellen, «aber ich habe Zeit, mich zu entscheiden denn meine Eltern sind noch jung. Und ich muss zuerst herausfinden, welche Spezialkultur ich auf unserem Hof überhaupt anbauen könnte.»
Überholtes Klischee
Die meisten Kolleginnen von der Bäuerinnenschule in Schüpfheim sind mit einem Landwirten liiert und wollen ihren Partner einst auf dem Hof unterstützen. Sie haben im letzten Sommer die Ausbildung abgeschlossen. Nicht so Tamara Widmer, sie will einst Direktzahlungen erhalten und muss dafür nach einem Praktikum eine Fachprüfung ablegen und in einem Fachgespräch ihre Kenntnisse testen lassen (siehe Infobox). Sie nervt sich, dass das «Heimchen am Herd»-Klischee noch immer präsent ist und die Arbeit der Bäuerin belächelt wird. In ihrer Ausbildung in Schüpfheim habe sie gelernt, wie man die Buchhaltung macht, sie hatte Module wie Betriebslehre und belegte die Wahlmodule Direktvermarktung und Beherbergung. «Viele wissen gar nicht, wie viel Arbeit und Organisation an einer Bäuerin hängen bleibt, auch ich wusste das vor meiner Ausbildung nicht. Dieser Arbeit gebührt Respekt!», so Widmer. Selbst in ihrer Ausbildung zur Köchin habe sie nicht gelernt, wie man Butter herstellt oder sich vertieft mit der Haltbarmachung von Früchten vom Hof auseinandergesetzt.
Wenn sie von der Bäuerinnenschule erzählt, strahlt die junge Frau. «Wir Frauen waren alle etwa im selben Alter und hatten es so gut zusammen, obwohl oder gerade weil wir gemeinsam im Wohnheim gelebt haben», sagt sie. Nach der Ausbildung möchte sie auf einem Hof bei der Verarbeitung der Produkte helfen. «Bis jetzt habe ich immer saisonale Stellen angenommen. Jetzt bin ich dann reif für etwas Längeres», gibt sie zu. Sie möchte Geld sparen um sich eines Tages selber etwas aufbauen zu können oder auf dem eigenen Hof ihre Projekte umzusetzen. In der Stadt leben könnte sie sich jedenfalls nicht vorstellen. «Ich gehe gerne für einen Tag nach Luzern aber ich bin immer wieder froh, nach Hause zurückzukehren, wo ich meine Ruhe habe.»
Für mehr Informationen
Grundvoraussetzung für den Titel Bäuerin mit Fachausweis sind ein Mittelschul- oder Berufsabschluss und 2 Jahre Praxis in einem bäuerlichen Haushalt. Anschliessend kann an einem Bildungszentrum für Haus- und Landwirtschaft die Ausbildung zur Bäuerin modular, berufsbegleitend oder als Semesterkurs absolviert werden.
9 Pflicht- und 2 Wahlmodule müssen belegt werden, um den Fachausweis zu erlangen. Im Anschluss daran wird eine Prüfung abgelegt, die aus einer schriftlichen Projektarbeit, einer Präsentation mit ergänzenden Fragen und einem Fachgespräch besteht.
>>> Webseite Schweizerischer Bäuerinnen- und Landfrauenverband / Berufsprüfung Bäuerin mit Fachausweis
Der Beitrag wurde vom Landwirtschaftlichen Informationsdienst LID verfasst und zur Verfügung gestellt (August 2019). Er ist Teil der LID-Sommerserie «Das leisten die Frauen». Text und Beitragsbilder: Melina Gerhard