Der Neuntöter, Vogel des Jahres 2020 von BirdLife Schweiz, benötigt Dornbüsche in Hecken als Nistplatz sowie Magerwiesen mit vielen Insekten für die Nahrungssuche. Um eine ganze Neuntöter-Population zu erhalten, müssen diese Elemente in der Landschaft in genügendem Umfang und Qualität vorhanden sein. Der Neuntöter ist deshalb ein guter Botschafter für die Ökologische Infrastruktur und für eine Landwirtschaft, die mit der Natur im Gleichgewicht ist. Wegen der höchst intensiven Nutzung des Kulturlandes haben sich die Bestände des Neuntöters in der Schweiz in den letzten 30 Jahren halbiert.
Zurzeit befinden sich die Neuntöter noch in Ost- und Südafrika, wo sie das reichhaltige Insektenangebot in den Trockensavannen nutzen. Bald schon machen sie sich auf den Rückweg in die Schweiz. Hier erwartet sie ab Anfang Mai eine strenge Zeit mit Brüten und Aufzucht der Jungen – sofern sie überhaupt noch einen Lebensraum finden.
Der mit seiner schwarzen Piratenbinde, dem grauen Kopf und dem rostroten Rücken gut erkennbare Neuntöter war noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der ganzen Schweiz häufig. Er fand überall Hecken mit Dornbüschen oder Wildrosensträuchern und in den Wiesen ein reichhaltiges Angebot an verschiedenen Insekten wie Heuschrecken, Grillen und Schmetterlingen sowie kleine Mäuse, Eidechsen und junge Vögel. Da Insekten bei Regenwetter kaum aktiv sind, hat der Neuntöter ein interessantes Verhalten entwickelt: Er legt Vorräte an, indem er seine Beutetiere auf Dornbüschen aufspiesst. Die Legende besagt, dass er immer zuerst neun Beutetiere aufspiesse, bevor er zu fressen beginne. Dies brachte ihm die Namen Neuntöter ein. Im Mittelalter wurde er sogar Neunmörder genannt. Dornbüsche sind aber nicht nur als „Vorratskammern“ wichtig für den Neuntöter, sondern auch als Nistplätze, die dem Nest guten Schutz bieten. Das Männchen zeigt dem Weibchen verschiedene Nistplätze, das Weibchen liest den definitiven Brutplatz aus. Nach dem Nestbau legt es 3-7 Eier und brütet diese in 13-16 Tagen aus. Die Jungen bleiben etwa 15 Tage im Nest und werden nach dem Ausfliegen noch circa 3 Wochen von den Altvögeln geführt. Danach machen sich die Neuntöter bereits im August/September wieder auf den Flug nach Afrika.
Rückgang des Neuntöters als Alarmzeichen
Früher überall verbreitet, kommt der Neuntöter heute nur noch an mageren Standorten vor allem im Jura und in den höheren Alpenregionen vor. Im Mittelland gibt es im Kulturland nur noch vereinzelte Paare. Bei Meliorationen ab den sechziger Jahren wurden Hecken und Buschgruppen in grosser Zahl aus dem Kulturland entfernt. Wegen massivem Einsatz von Gülle und Kunstdünger, Herbiziden und Pestiziden, vielfachem Schnitt der Wiesen und der Vernichtung vieler Kleinstrukturen brachen die Insektenbestände im Kulturland in den letzten Jahrzehnten zusammen. Diese Entwicklung schreitet heute bis weit in die Alpentäler hinauf ungebremst fort.
Es ist ein Alarmzeichen, dass sich der Bestand des Neuntöters in den letzten 30 Jahren halbiert hat. Die Investitionen in Milliardenhöhe in die Landwirtschaft durch den Bund begünstigen grösstenteils in eine Produktion, welche weder auf die Biodiversität noch auf Böden und Wasser ausreichend Rücksicht nimmt. BirdLife Schweiz fordert daher ein massives Umdenken in der Subventionspolitik für die Landwirtschaft sowie die Unterstützung und rasche Umsetzung der Ökologischen Infrastruktur.
Ökologische Infrastruktur für den Neuntöter
Jedes Neuntöter-Paar braucht einen Brutplatz in Hecken oder Dornbüschen sowie Nahrungsgebiete, in denen ausreichend Insekten vorkommen. Um den Neuntöter und mit ihm zahlreiche weitere Arten des Kulturlandes zu fördern, sind grössere Kerngebiete mit Hecken, Buschgruppen und insektenreichen Wiesen oder Weiden nötig, welche vielen Neuntöter-Paaren Lebensraum bieten. Dazwischen braucht es kleinere Gebiete, welche die Verbindung zwischen den grösseren Beständen garantieren. Kerngebiete und Vernetzungsgebiete müssen zusammen wieder überlebensfähige Neuntöter-Populationen sichern.
Der Neuntöter ist aus diesem Grund ein guter Botschafter für die Ökologische Infrastruktur. Bereits 2012 hat der Bundesrat beschlossen, für die Sicherung und Stärkung der Biodiversität eine Ökologische Infrastruktur einzurichten. Nun sollen endlich Taten folgen. Die Ökologische Infrastruktur aus Kerngebieten und Vernetzungsgebieten für die unterschiedlichsten Arten ist entscheidend, wenn der massive Biodiversitätsverlust in unserem Land endlich gestoppt werden soll. Die neue BirdLife-Kampagne 2020-2024 ist deshalb der Ökologischen Infrastruktur gewidmet. Deren Aufbau ist Aufgabe der Allgemeinheit und der öffentlichen Hand. BirdLife Schweiz ist bereit, sie dabei zu unterstützen.
Text: BirdLife Schweiz
Beitragsbilder: Patrick Donini (Neuntöter), BirdLife Schweiz (Grafik Lebensräume)